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Mehr zum Künstler, seiner Motivation und seinen Themen erfahren Sie hier in ausführlichen Texten. Klicken Sie auf das jeweilige Bild, um zu den Texten der Werkreihe zu gelangen. Weitere Texte zu „Wie werde ich ein Künstler?“ und „Idee und Radierung“ finden Sie weiter unten.


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TEXTE Werkreihen:





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WIE WERDE ICH EIN KÜNSTLER?


Im Alter von etwa 10 Jahren entdeckte ich in einer Jugendzeitschrift das „Kunstwerk des Monats“. Nach und nach tapezierte ich mit diesen Kunstreproduktionen mein Zimmer. Versammelt waren hier Vermeer, Monet, August Macke und Franz Marc, natürlich auch Dürer, Cézanne und Picasso. Obschon in meinem Dorf bekannt für meine Zeichenkünste, fehlte es im Umfeld an Anregern oder Förderern. Es gab einfach keinen „Kunstmaler“ weit und breit. Anregung bot „nur“ die Natur in Gestalt hoher Eichbäume, die Bauernhöfe säumten, von geheimnisvollen Mooren und lichten Kiefernwäldern – von all dem gab es reichlich. Also wurde mir die Natur früh bestimmt.


Über mein Bett hatte ich die Reproduktion der Auferstehungsszene aus dem Isenheimer Altar des Mathis Grünewald platziert. An diesem Bild liebte ich weniger den auffahrenden Heiland in seiner grandiosen Lichtgloriole, sondern vielmehr die zu seinen Füßen hinstürzenden Landsknechte. Ihre penibel gemalten Kettenhemden weckten meine Begeisterung, wurden mir Ansporn und Triebfeder – mit dem Traum, dereinst auch einmal so gut malen zu können, schlief ich abends ein. Damals konnte ich noch nicht wissen, dass die hier schon früh erkennbare Detailverliebtheit später einmal zu einem meiner „Markenzeichen“ werden würde – es war ein erster Gruß von Sisyphos, meinem „heimlichen Bruder“.


In den emotionalen Achterbahnfahrten der Pubertät ging ich meines „Kunstmaler-Traums“ für einige Jahre verlustig und begann unter dem Druck meiner Umgebung schließlich ratlos und genervt, ohne innere Überzeugung, eine „Irrlehre“ als Bankkaufmann. Obwohl ich meine Ausbildung schließlich auch beendete, um an der Heimatfront Ruhe zu haben, begann ich in jenen Jahren, inspiriert durch einen Freund (und die Beatles), mich mit den Lehren des Maharishi Mahesh Yogi zu beschäftigen und täglich zu meditieren. Schnell fühlte ich mich wie neu geboren, fand mich zeichnend und malend wieder und entwickelte einen ungeheuren Appetit auf Kunst, Musik, Literatur und fernöstliche Philosophie.


Meinen damaligen Heroen Dürer und Rembrandt nacheifernd, begann ich 1973 ein Studium der „Freien Grafik“ an der Folkwangschule Essen, die sich seinerzeit vor allem eines sehr guten Rufs in der Vermittlung solider Kenntnisse im Zeichnen und in der Grafik erfreute. Und ja, ich hatte gute und strenge Zeichenlehrer.


Mein künstlerisches Weltbild war noch beschränkt und einseitig, da ich nichts über die präzise und gründliche Erforschung der sichtbaren Welt kommen lassen wollte… für den Anfang lagen meine Ambitionen genau hier. Es war Prof. Lampe, ein würdiger altern Wiener Kunsthistoriker, der diese Welt jedoch gehörig ins Wanken brachte. Mit viel Leidenschaft, Begeisterung und einem Schuss Sendungsbewusstsein gelang es ihm, mich und andere von den Vorzügen mehr oder weniger ungegenständlicher Malerei, insbesondere seines Lieblings Paul Klee, zu überzeugen.


Nach einigen eher blutleeren Versuchen in dieser Richtung pflegte ich am Zeichentisch weiterhin meine Exerzitien des Naturstudiums, was häufig zu Konflikten mit einigen Lehrern führte. In etwa so: Man hatte mir ein wunderbar knorzelig verwundenes Stück Wurzelholz zum Zeichnen hingelegt. Nach stundenlangen Mühen und Ringen hieß es zu meinem Schrecken „So wird man ja nie fertig. Sie sollten das doch nur UMSETZEN!“ – „Aber dazu muss ich es doch erst einmal gründlich kennenlernen!?“ Will man diese und ähnliche Episoden ins Positive wenden, so könnte man sagen: An Geduld und Gründlichkeit, auch an einer gewissen Sturheit hat es dem Adepten schon in jungen Jahren nicht gemangelt. Vielleicht sein bäuerliches Erbe.


Nicht nur an der Folkwangschule gab es bis in die 70er Jahre hinein noch einen Geist der Werkkunstschulbewegung aus den Nachkriegsjahren, geprägt von Künstlern, die sich im Anschluss an die Nazi-Zeit redlich mühten, die ihnen vorenthaltenen internationalen Stilentwicklungen quasi im Eiltempo auf- und nachzuholen. Ich jedoch wollte nie „picasso-id“ oder „klee-id“ malen.


Vorne an stand der Drang, die Notwendigkeit, ALLES gut zeichnen zu lernen, meinetwegen, sich eine Art Alphabet der Naturerscheinungen anzueignen, wobei niemand weiß, was die Zukunft einmal bringen mag. Der Weg war das Ziel. Zur Ehrenrettung von Folkwang sei aber noch gesagt, dass wir die hierzu nötigen Handwerke allemal lernten, so wir denn fleißig und bemüht waren.


Regelmäßig nach leidigen Meinungsverschiedenheiten mit meinen Lehrern in der Richtung oder Art der oben bereits geschilderten, verließ ich die Schule bereits am frühen Mittag, setzte mich in die S-Bahn Richtung Düsseldorf und stieg nach 2 Stationen in Kettwig aus. Von hier aus lief ich stundenlang etwa parallel zur Bahntrasse Richtung Hösel durch lichte Buchenwälder und zeichnete dabei (mit schlechtem Gewissen, weil gegen den Rat einiger Lehrer) manchen Baum, bald hieß es: Dohrmann? Das ist doch dieser Pingler mit seinen Bäumen… (für meine Liebe zum Detail und dem damit unweigerlich verbundenen hohen zeitlichen Aufwand war ich schon bald einigermaßen berüchtigt und erntete manchen Spott – allein: ich konnte gar nicht anders…).


Mitte der 70er Jahre pilgerte der gesamte Studiengang per Bus zu Kestner-Gesellschaft nach Hannover, um Horst Janssen, den neuen Stern am deutschen Kunsthimmel, gründlich vor dem Original zu studieren. Aha, da war also jemand, der sich wie du (allerdings auf einem deutlich höheren Niveau des Könnens) einfach vor einen Baum setzt und zeichnet. Und der dachte sicherlich nicht ans „Umsetzen“ dabei… Ich staunte, verehrte, bewunderte und kehrte, gestärkt und ermutigt und erstmals ohne Reue, zu den eigenen zeichnerischen Exerzitien zurück…


Paul Klee jedoch mochte ich bei all dem trotzdem nicht vergessen. Dürer und Klee quasi als Antipoden meines Inneren… Lange habe ich im Spagat dieser inneren Polarität gelebt und gelitten. Viele Fragen, viele Selbstbefragungen, viel Selbstkritik. Als ich viele Jahre später, in den 90er Jahren, die Schieferbänke im Harz entdeckte (ausführlich dargelegt und bebildert in meinem Buch EINE PRIVATE GEOLOGIE), konnte ich in meinen Arbeiten erstmals diese inneren Gegensätze auf ein Weise miteinander versöhnen, die mich glücklich machte. Erstmals war ich irgendwo angekommen.


Nach und nach verlor sich auch die Scheinproblematik, heute beinahe fotorealistisch zu malen und morgen (scheinbar) am Rande der Abstraktion zu wandeln (wer will ich sein – wer bin ich…?). Denn die Protagonisten und auch viele Konsumenten wünschen sich auf ihrem Markt eindeutige Etikettierungen und klar erkennbare „Duftmarken“. Letztlich war es reine Kopfsache bzw. es ging darum, wie groß man sein Ego aufblähen wollte, indem man die Marktgesetze gefällig bedient – oder auch nicht… Hat man diesen Mechanismus einmal erkannt und durchschaut, so verschwinden die selbst aufgestellten inneren Blockaden und Dogmen – Freiheit schafft sich endlich ihren weiten Raum.


Wenn man auf dem Weg der Kunst konsequent seinem Herzen folgt, so wird es einem nach und nach ziemlich gleichgültig, ob man wahlweise als Naturist, Naturalist, Fotorealist, magischer Realist oder als Freidenker bezeichnet wird.


Es geht immer nur darum:

Dein Auge (und hoffentlich mehr) verliebt sich in einen Gegenstand, später vielleicht auch in die ihm zugrunde liegende Ideenwelt (dieser Vorgang wird prosaisch auch als „Libidowurf“ bezeichnet). Wie kannst du Deine Empfindungen und Gedanken materialisieren, wenn du sie aufs Papier bringst und damit sichtbar machst, denn darum geht es in der Kunst.


Im Angesicht eines Neuen prüfst du deine Stilmittel und Werkzeuge, häufig musst du neue Wege erfinden oder Anleihen in der Kunstgeschichte machen und bestellst damit dein Feld… Die inneren Früchte deiner Arbeit kannst du durch entsprechenden Einsatz sehr wohl beeinflussen, die äußeren hingegen nur begrenzt.


Um im Spannungsfeld zwischen dem jeweiligen Objekt der Begierde UND dem Resonanzraum eigener Gedanken und Gefühle BEIDEM gleichsam gerecht zu werden, mag dir heute der eine, morgen vielleicht ein anderer künstlerische Weg geeignet erscheinen. 


Die Spätlese kann beginnen.


Meiborssen, September 2019


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IDEE und RADIERUNG


Gerade hatte er den Aquarellpinsel, etwas gelangweilt, zur Seite gelegt. Sein Bild war… hm, so weit, so gut, hat eigentlich alles geklappt wie geplant… vielleicht noch die linke untere Ecke durch einige grafische Akzente beleben, doch ob einer solchen Entscheidung würde man besser noch eine Nacht schlafen, um am nächsten Morgen -mit etwas Abstand- einen frischen Blick darauf zu werfen. Seit etwa sechs Wochen hatte ihn die Wasserfarbe nun schon umgetrieben, etwa jede Woche entstand ein neues Bild. All der wunderbaren Eigenschaften dieser Maltechnik, ihre hauchigen Transparenzen etwa – gerade begann er ihrer etwas überdrüssig zu werden.


Ein leises Gefühl des Unbehagens hatte sich schleichend eingestellt und sich -wie ein Keim in fruchtbarem Boden- wohl genährt und breitgemacht. Nun forderte es seine Rechte ein. Da er dieses Gefühl bereits kannte, begrüsste er es wie einen alten Freund.


Es war die Sehnsucht nach der härteren Droge, sie heißt Radierung und will endlich Taten sehen. Gejuckt hatte es schon länger. Her mit einer Kupfertafel! Wo hat er die spitze Stahlnadel doch nur beim letzten Mal abgelegt? Kratzen, sticheln und ritzen waren jetzt angesagt (ja, ein gewisses Agressionspotential wohnt dem schon inne), weg mit der lauen Wasserfarbe! Endlich wieder einmal an frischem Ätzgrund und Asphaltlack riechen und am Kolophonium für die Aquatinta! Hin zum Hardcore-Handwerk! Ab in die Druckwerkstatt, in den Dunstkreis einer Melange aus Kupferdruckfarbe, Leinölfirnis, Asphalt, Lösungsmitteln und feuchtem Druckbütten.


Endlich wieder einmal diesen Moment erleben, wenn man die Kupferplatte mit ihrer über viele Tage in den Ätzgrund eingeritzten Zeichnung in das Säurebad tauchen kann! Spätestens dann -kurz vor dem ersten Probedruck- schiesst jede Menge Adrenalin ein. Dann die Kupferdruckfarbe mit ihrem einzigartigen Aroma behutsam und vorsichtig mit dem Handballen von der Oberfläche des Kupfers streicheln, damit nur noch in der jetzt tief eingeätzten Zeichnung Farbe zum Druck verbleibt! Endlich wieder einmal das Rad der Druckpresse drehen; den leichten Widerstand spüren, wenn sich die schwere Oberwalze auf und über den Rand der Kupferplatte schiebt und schließlich  mit bebendem Herzen  diesen ersten Andruck vorsichtig von der Platte heben! Wird es gelingen?


In der Radierung muss eine Bildvorstellung wesentlich grössere materielle Widerstände überwinden, viel mehr handwerkliche Hindernisse passieren als bei einer Malerei oder Zeichnung auf Papier, wo jeder Strich sofort in seiner Endgültigkeit fertig stehenbleiben kann – oder, wenn misslungen, einfach wegradiert wird – oder übermalt. Das Ergebnis jedenfalls wird sofort sichtbar. Geht es jedoch um die Radierung, so steht zwischen der subtilen Bildvorstellung (eher so etwas wie einem Traum) und dem endgültigen Druck auf Papier erst einmal die Kupferplatte, eine harte Wand. Ich finde das Kupfer zwar schon in sich schön, liebe es manchmal geradezu, doch ist die Kupferplatte -selbst im geätzten Zustand- noch kein Bild, sondern nur ein Medium auf dem Weg dorthin.


In der Druckgrafik geschieht alles viel indirekter, also sollte es zunächst ein klar durchdachtes Bildkonzept geben, meistens in Form einer Skizze, manchmal auch in Anlehnung an ein früher gemaltes Bild oder an ein Foto. Die Radierung gibt diesem Konzept dann ein neues,nur ihr eigenes Gesicht.


Will man es nicht beim Schwarz-Weiss belassen, sondern träumt von einer bestimmten Farbigkeit,so ist diese in der Radierung nur durch den Übereinanderdruck mindestens zweier unterschiedlicher Farben in Halb-, Viertel- oder gar Achteltönen zu erreichen. Jetzt braucht man also schon mindestens zwei Kupferplatten. Farb-Zerlegung nennt man das. In der Malerei gibt es das natürlich auch. Dort nennt man es Lasur (zwei transparente Farbschichten unterschiedlicher Färbung werden übereinandergelegt), das Resultat ist dabei jedoch sofort sichtbar. In der Farbradierung jedoch ist dies noch lange nicht der Fall, es muss erstmal alles irgendwie ins Kupfer.  Bedeutet: Man muss beim Ätzen der Tonstufen im Säurebad genau die richtige Ätz-Tiefe auf beiden Platten erreichen, damit der Traum am Ende im Zusammendruck beider Platten auch wie gewünscht auf dem Papier erscheint. Ob man richtig gelegen hat mit seinem Kalkül, sieht man  jedoch erst, wenn alle (bei ihm sind es häufig drei) Kupferplatten als „Farbträger“ fertiggestellt sind. Erst nach Durcharbeitung aller farbtragenden Platten sieht man im Zusammen- bzw. Übereinanderdruck ein einigermaßen gültiges Resultat, kann im Nachgang jedoch durch gezieltes Überarbeiten der Platten noch vieles verändern. Also muss man sich auch wieder nicht zu sehr fürchten…


Außerdem gibt es Hilfsmittel wie z. B. selbst gefertigte abgestufte Ätztabellen mit Angaben der Ätzdauer, die man sich für jeden Farbton fertigen kann. Daran kann man sich beim Ätzen der Platten recht gut orientieren. Die Spontaneität, die im Malen oder Zeichnen herrscht, kann und muss man sich hierbei jedoch häufig abschminken, denn sonst bliebe alles weitgehend den Willfährigkeiten des Zufalls überlassen, also Glückssache. Viel nüchternes Kalkül, viel Sorgfalt und Konzentration sind erforderlich, denn Fehler verzeiht das Kupfer eher selten. Hat man am Ende jedoch in Anbetracht der vielen handwerklichen Klippen ein gutes Resultat in Händen, so wächst in Anbetracht des sprichwörtlich harten Material-Widerstands auch das Triumphgefühl.


Warum aber sollte man sich das alles antun, was macht denn die Radierung (neben ihrer Reproduzierbarkeit) so einmalig und besonders?


Wir wollen einen Fall simulieren:


Eine kapriziöse Dame namens IDEE hat gerade bei ihm an jene Tür geklopft, auf welcher groß „Radierung“ geschrieben steht.


„Gib mir die Kraft, gib mir das Obskure Deiner samtigen Tiefen! Wer könnte es besser machen als Du?  Ich will die feinsten Strukturen und filigransten grafischen Aufsprengungen, die irgend möglich sind! Vibrierende Energie bitte! Nur Du mit Deiner feinen Nadel vermagst es! Führe sie mir! Im weiteren Fortgang wünsche ich feinste Aquatinta-Töne, vom zartesten Achtel-Ton die ganzen Nuancen hoch bis zum Vollton! Und natürlich mehrfarbig! Das ganze Orchester! Danach sollst Du meine Kinder an alle Winde verstreuen, sodass sich die ganze Welt an ihnen erfreuen kann! Nur Du allein vermagst es! Und nur Du kannst mich erlösen!“ Schnappatmung. Dann kurze Pause…


An der Stelle mit den „Winden“ dachte der Künstler kurz und mit bedauerndem Stirnrunzeln an sein mangelhaftes Vertriebssystem, doch die Diva mit ihrem  gebieterischen Traum ruft unerbittlich zur Tat. Schwerwiegender Fall! Jetzt ruhig bleiben.


„Darf es sonst noch etwas sein?“


„Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen: Am Ende bitte noch Kaltnadel-Schraffuren in die dunklen Aquatinta-Töne setzen, damit es gewisse Stellen bekommt (na, sie wissen schon), die schwärzer  sind wie die Nacht! Wann darf ich mir alles angucken?“


„Gut Ding will Weile haben, Madame… und bitte keinen Druck… äh, doch… aber jedenfalls nicht gleich!“


Er macht sich seufzend an die Arbeit. Heißt: Das Ganze gehört zunächst einmal gründlich geerdet, nüchtern durchdacht und vernünftig geplant. Strategisch denken! Die Vorstellungskraft beginnt mächtig zu rödeln. 


Also: Wie orchestrieren wir die Sache? Welche Radierverfahren sind in diesem Fall angebracht? Strichätzung in der Kombination mit Aquatinta? Oder lieber mal wieder „Reservage“ einsetzen, die gute alte Aussprengtechnik mittels Zuckertusche, kombiniert an einigen Stellen mit offener Pinselätzung? Vieles scheint möglich…Die Wünsche dieser herrischen Dame namens IDEE bezüglich der Farben sind wohl nur mit drei Kupferplatten im Zusammendruck zu managen, um  die gewünschte Vielfalt der Mischtöne zu erzielen. Also: Zunächst einmal ist Goldocker mit einem kleinen Schuss Kapuzinergelb vonnöten, dann Gebrannte Siena mit einem Stich Umbra für die zweite Platte, danach das vielfach bewährte Blauschwarz eigener Mischung für die dritte Platte – auf diese Weise könnte es am Ende funktionieren… 


Eine Farbradierung von mehreren Platten herzustellen – das gleicht in gewisser Weise einem langen Marsch durch einen dunklen Tunnel. Wird am Ende Licht sein?


Nach zwei Wochen konzentrierter Arbeit kann endlich der Zusammendruck dreier unterschiedlich bearbeiteter Druckplatten vollzogen werden, sozusagen die Hochzeit der Farben… Und nun, ganz vorsichtig nach dem Druck der dritten Platte das feuchte, schwere Bütten anlupfen und vorsichtig von der Platte heben. In diesem Moment schießen ihm hundert Gedanken, Fragen und Zweifel gleichzeitig durch den Kopf… Tief durchatmen.


Die erste Euphorie weicht angesichts des vorliegenden Resultats bald einem dahin gebrummelten „Naja, nicht schlecht, könnte was werden“ oder wahlweise: „Nein, dass kann und will ich so nicht stehenlassen, hört das denn nie auf, da ist noch so viel dran zu tun…“


In der Regel muss man also noch einmal ran: Es folgen die vor allem der Farbradierung eigenen, beinahe unvermeidlichen Korrekturen, nicht selten auf allen drei Platten. Im günstigsten Fall geht es um Optimierung…


Hier ein wenig die Dunkelheiten mit dem Schabeisen oder feinem Schmirgelpapier aufhellen, dort ein paar dunklere Akzente mit der Kaltnadel verstärken – und zwei Aquatinta-Flächen auf der Rotbraun-Platte muss er wegen ihrer Flauheit leider erneut ätzen – wieder fast ein halber Arbeitstag. Dann erneut Probedrucken.


Irgendwie wirkt das Blauschwarz noch ein wenig tot… es sollte mehr Leuchtkraft bekommen und einen Tick grünstichiger sein… also noch einen Schuss von dem teuren Ozeanblau in die Mischung. Würde es sich dann aber noch mit dem Rotbraun vertragen? Also auch hier schon mal vorsorglich etwas Kapuzinergelb hinein, um die Balance zu wahren und das schöne Ozeanblau entsprechend zu kontrastieren.


Feinabstimmung steht an, das Feilschen um Nuancen ist eröffnet.


Die herrische Dame ist inzwischen auch wieder vorstellig geworden. Ein zögerliches „Wissen Sie, es ist … ganz gut. Sie haben getan, was Sie konnten.“ Aha! -Der Künstler, durch die vorangegangenen Exerzitien extrem sensibilisiert  für Halb-, Viertel-, Achtel- und weitere Zwischentöne, seufzt innerlich: Du hast es also wieder nicht voll gebracht. Aber er, so höflich wie möglich, ohne die Contenance zu verlieren, antwortet: „Schon O.K., war eine reizvolle Erfahrung mit Ihnen, schauen Sie doch gelegentlich mal wieder rein, wenn Sie in der Nähe sind!“ Diese Leute durfte man trotz allem, was sie einem manchmal antun, nicht vergraulen…


Er schaut sich den frischen Druck also noch einmal genau an, wiegt bedächtig sein schütteres Haupt, beugt sich über das Bild und grummelt:


„Nein, hier wird nun nichts mehr geändert! Ich werde dich zwanzig mal richtig gut drucken, dann nummerieren und signieren – kein Blatt mehr und heute schon gar nicht, bin genervt von der Tussi, war ziemlich anstrengend das Ganze – und außerdem hat sich gerade wieder die Wasserfarbe bei mir gemeldet.“