Schiefer

Nur noch SCHIEFER im Kopf


Im Spätsommer trockener jähre gibt der Grane-Stausee im Westharz einen Blick auf die Tonschiefer seiner Uferzonen frei: Eine Landschaft aus Geländestufen, Bänken, Treppen und Platten unterschiedlicher Größe wird sichtbar. Dazwischen oval gerundetes Schiefergeröll, manches noch plattig und handtellergroß, anderes hat die ideale Größe eines Flitschsteins, am unteren Ende der Skala ist es nur noch ein Sandkorn.


Man spaziert durch Miniaturlandschaften, geboren aus Ordnung und Chaos: Hier hat das Wasser das Geröll als Schuttfeld zu Füßen einer noch intakten Bank abgelegt, dort hingegen durch seine strudelnde Bewegung wie eine Rosette um ein größeres steinernes Hindernis herum drapiert. Die noch intakten Bänke und Plattensysteme sind Sinfonien aus Schichtungen, rhythmisch durchgegliedert mittels eines Systems haarfeiner Risse, wie sie sonst nur eine Radiernadel hervorzubringen vermag. Sie sind von Rhythmus, Maß und Zahl beherrscht und senkrecht, waagerecht sowie auch diagonal gegliedert. Diese drei Richtungen überschneiden und durchkreuzen sich ständig. So entstehen im Großen wie im Kleinen ungezählte Dreiecke, Trapeze und Parallelogramme. Es ist eine wahre Orgie der Geometrie.


Stellenweise durchziehen milchig-weiße Quarzadern von härterer Beschaffenheit den Tonschiefer nach Gesetzmäßigkeiten, die dem Betrachter vorläufig verschlossen blieben. Dazu wären die Geologen zu befragen. Die Schiefer zeigen fast alle vorstellbaren Abwandlungen des Blaugrau, das er so sehr liebte. „Ältere“ Bänke jedoch, dem Sonnenlicht und der Witterung offenbar schon länger ausgesetzt, verfärben zum Bräunlichen hin. Höhere Eisenoxydanteile im Material erzeugen gelegentliche Rosttöne, im Malkasten unter „gebrannte Siena“ einzuordnen, weiter geht es bis hin zum Oxydrot.


Dann wieder heile, streifige Grauockerfahnen über dem Gestein, dort, wo das Wasser bei hohem Pegel lehmige Schwebstoffe ablagerte. Und gerade tut das Licht ein Übriges: Die untergehende Sonne taucht die ganze Szenerie in Indischgelb und Orange…


Klar, dass er mit seiner Liebe zum Detail hier erst einmal ganz tief durchatmen musste…


Ein weites Spiel- und Arbeitsfeld lag hier vor ihm, es gab alles, was er sich gegenwärtig von einem Motiv nur erhoffen konnte. Und außerdem waren jene, die ihm beim Malen quasi immer auf der Schulter hockten, an diesem Ort nun einträchtig versammelt, obwohl sie doch nie hier gewesen…


Dort sah er einen Paul Klee, hier einen Feininger und hinter jener Tonschiefer-Treppe lugte auch der gute alte Dürer hervor. Nun konnte er endlich damit beginnen, eine Brücke zwischen seinen Antipoden zu bauen…

(siehe auch INFO: Wie werde ich ein Künstler?)

17-Keil